750 2 teaser angeln drogen saarbruecken
Netzwerker Alex Sauer (wohnt im Saarland) machte mich auf eine Meldung der Facebookseite des Drogenhilfezentrums Saarbrücken aufmerksam, bei dem der da beschäftigte Sozialarbeiter Aaron Wolter beschrieb, wie er mit einem Besucher angeln gegangen ist. Das hat er versprochen, wenn der Besucher 6 Monate clean bleiben würde als Motivation. Ich nahm daraufhin mit dem begeisterten Angler Aaron Kontakt auf, weil es solche Geschichten immer wert sind, erzählt zu werden.

Bekannt ist ja, dass Angeln nicht nur bei der Persönlichkeitsbildung per se helfen kann, auch bei Krankheiten kann Angeln positiv unterstützen. So konnte Netzwerk Angeln bereits von einem Kind berichten, dem Angeln zu weniger Medikamenten bei seiner ADS-Erkrkanung half:
Angeln hilft einem an ADS erkrankten Kind
Dass selbst bei einer viel härteren Drogenentwöhnung das Angeln als Motivationshilfe dienen kann wenn der Partient Angler ist, hätte ich aber so auch nicht gedacht.

750 aaron hechtAaron nutzt seine Angelbegeisterung auch beruflich im Drogenhilfezentrum Saarbrücken

Umso mehr freut es mich, dass Aaron sowohl den folgenden Bericht dazu geschrieben hat wie auch meine Fragen dazu im Drogenhilfezentrum bei Geschäftsführung und Kollegen vorlegte und Antworten bekam, die wir auch veröffentlichen.

Das Angeln als Steigerung der Lebensqualität – Motivation und Bewältigungsstrategie für abhängigkeitserkrankte Menschen

„Aaron, Hi! Ich wollte mich nur mal bei dir melden, ich bin seit 3 Wochen wieder zuhause!“.
Das waren die ersten Worte von Patrick nach 10 Monaten. Patrick ist ein Besucher der Einrichtung in der ich arbeite, dem Drogenhilfezentrum in Saarbrücken. Er konsumierte Heroin, welches er sich selbst intravenös verabreicht hat. Ich arbeite schon lange mit ihm zusammen, um Probleme die sich in seiner Lebenswelt entwickeln, zu bearbeiten. Ob juristische Angelegenheiten, Verbringung in Entgiftungsstationen, aktives Zuhören oder das Bereitstellen von einem sterilen und überwachten Ort zum Konsumieren harter Drogen durch die Einrichtung, wir haben schon einiges zusammen erlebt.

Angeln als Motivation bei Drogenentwöhnung

Und natürlich finden neben den themenbezogenen Settings auch Gespräche profaner Natur statt. Und in einem dieser Gespräche wurde klar, dass Patrick ebenso wie ich, eine Leidenschaft für das Angeln besitzt, seine Lebensumstände lassen die Ausübung jedoch momentan nicht zu. Vor einiger Zeit sprach mich Patrick an und bekundete den Wunsch, ernsthaft etwas an seiner Lebenssituation ändern zu wollen. Dabei haben wir ihn sehr gerne unterstützt, und neben dem herkömmlichen Procedere der Vermittlung in eine stationäre, abstinenzorientierte Einrichtung, haben Patrick und ich noch etwas weiteres beschlossen:
Wenn Patrick es schafft, mindestens ein halbes Jahr clean zu sein, machen wir einen gemeinsamen Angelausflug. Die Begeisterung darüber war Patrick nicht abzuerkennen!
Auch wenn ich diesen Vorschlag nicht als „hauptverantwortliche Methodik“ in der Vermittlung in eine abstinenzorientierte Einrichtung angedacht hatte, sondern eher als einen kleinen Motivationsschub ergänzend zur standartisierten Beratung, hatte Patrick den Angelausflug in jedem weiteren Gespräch mit mir erwähnt. Dadurch habe ich auch nach und nach seine Wertschätzung für dieses Angebot erfahren, was auch mich mit viel Euphorie geladen hatte.

Schafft er es zum Angeln durch Drogenverzicht?

Patrick war nun weg. Er begab sich zu den Fleckenbühlern, eine Gemeinschaft die Menschen aufnimmt, welche ihre Zukunft gerne Drogenfrei gestalten möchten. Und mit Drogenfrei ist auch Drogenfrei gemeint. Keine illegalen Drogen, kein Alkohol, keine Zigaretten, höchstens Kaffee. Da auch – vor allem in den ersten Monaten – der Kontakt nach Außen nicht gestattet ist, war ich erstmal ziemlich uninformiert, wie es um Patrick steht. Nach 10 Monaten kam dann der erfreuliche Anruf von Patrick. Er war neun Monate auf dem Hof Fleckenbühl und nun schon einige Wochen zu Hause – immer noch clean!

Zugegeben, ich war mir zuerst nicht sicher, ob Patrick das hinbekommt. Dies war nicht sein erster Versuch etwas zu verändern und die Fleckenbühler sind für ihr strenges Reglement ziemlich bekannt. Umso stolzer bin ich im Nachhinein auf ihn.
Er hatte also seinen Teil geleistet; nun war ich an der Reihe, unsere Abmachung einzulösen. Patrick hatte mich mit Vorfreude auf das Angeln angesprochen und wir haben einen zeitnahen Termin ausgemacht. Und was vor Ort passiert ist, hat unser beider Erwartungen übertroffen, obwohl die Bedingungen nicht die besten waren.

Nach der Entwöhnung in den Angelladen

750 aaron und patrickAaron und Patrick beim ersten gemeinsamen Angeln!
Wir haben uns im örtlichen Angelladen getroffen um die Tageskarten für den französischen Teil der Saar zu kaufen, da Patrick noch keinen Angelschein hat. Kaum waren wir beide vor Ort, hat es geschüttet wie aus Eimern. Unser Entschluss: wir gehen trotzdem! Wir haben uns eine breite Autobahnbrücke als Spot herausgesucht, um vor dem Regen geschützt zu sein. Nach kurzer Zeit hatte Patrick eine Hechtattacke, dieser ist nach kurzem Drill jedoch wieder ausgestiegen. Das sollte die einzige Aktion an diesem Tag gewesen sein, ein voller Erfolg war es trotzdem. Patrick hatte einen Moment inne gehalten und gesagt:


„Wer hätte gedacht, dass wir eines Tages mal hier stehen und gemeinsam Angeln? Ich habe mir das so oft vorgestellt und jetzt ist es endlich soweit. Mir ist auch egal, ob wir etwas fangen. Für mich ist jetzt schon ein Ziel erreicht, wofür ich gearbeitet habe.“


Was sollte ich dazu noch sagen, außer dass ich stolz auf seine Leistung bin?
Ich habe an diesem Tag gemerkt, wie wichtig ihm dieser Ausflug war und gleichzeitig, wie viel Spaß er bei der Sache hatte – und zwar nüchtern! Keine Substanzen, nur Natur und das Bewusstsein für den Moment. Etwas, was kaum eine andere Freizeitgestaltung hätte für ihn schaffen können.

Angeln als Bewältigungsstrategie nicht nur bei Drogenentwöhnung

Angeln schafft ganz viele Bewältigungsstrategien für den Alltag abhängigkeitserkrankter Menschen. Die Abhängigkeit wird immer bleiben, es wird immer Situationen geben, in denen Suchtdruck verspürt wird (jede/-r trockene Raucher/-in wird sich hier wiederfinden) und Momente, in denen der Konsum von Drogen für den Augenblick vieles einfacher machen würde. Es gibt jedoch Methoden, um diese Situationen erfolgreich zu meistern.
Und was gibt es da besseres, als sich in die Natur zu begeben?
750 ruhe beim AngelnRaus ans Wasser zum Angeln - auch ein Instrument um Drogenkonsumenten zu helfen


Fern von Suchtmitteln und nah an erfahrbaren Geschehnissen am Wasser. Dazu gehören neben der Wertschätzung von anderen Lebewesen die Anforderung an das taktische Geschick und die Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Außerdem ist die Beschaffung der Materialien relativ einfach, vor allem wenn gebrauchte Materialien erworben werden und ein unterstützendes Umfeld vorhanden ist, ob Familie, Vereine oder gemeinnützige Organisationen, die mit Spendenmitteln einiges möglich machen.

Und gerade in den jetzigen Zeiten hat das Angeln als pandemiegerechte Freizeitbeschäftigung den Vorteil, dass sie jederzeit ausgeübt werden kann. Es kann immer der Situation entflohen werden, in der Langeweile vorherrscht (fehlende Beschäftigung ist ein häufiger Auslöser von Rückfällen oder Abhängigkeitsverlagerungen) und einem die Decke auf den Kopf fällt.
Nun dauert es auch oft nicht lange, bis andere Leute am Wasser angetroffen werden, wodurch über kurz oder lang soziale Kontakte aus einem drogenfreien Umfeld aufgebaut werden bis hin zur Aufnahme in Vereinen und der Teilnahme an dort stattfindenden Aktivitäten. Angeln verbindet. Angeln bietet Alternativen, die sonst schwer zu finden sind und die Menschen dabei helfen können garnicht erst mit dem Konsum von Drogen anzufangen, weniger Drogen zu konsumieren oder sie gar dazu bewegen, dem Drogenkonsum den Rücken zu kehren.

1 Jahr drogenfrei - auf zum gemeinsamen Angeln!

Der nächste Ansitz ist auch schon durchgeführt worden. Am 18.08. 2021 war nämlich Patricks "Cleangeburtstag". Zum einjährigen Drogenfrei ging es nochmal gemeinsam zum Angeln. Erfolgreich beim Angeln wie bei der Drogenentwöhnung, man kann nur gratulieren.
Es war wieder ein toller Angeltag!
Aaron Wolter

750 patrickPatrick war auch beim Angeln erfolgreich.

Mehr zu Aaron Wolter und Angeln findet ihr hier: Website Wowfish und Instagram Wowfish

Angeln als Unterstützung beim Drogenentwöhnung? Was sagen Geschäftsführung und Kollegen?

Aaron hat hier seine persönlichen Erfahrungen geschildert hatte, was man vielleicht als voreingenommen bezeichnen könnte. Ich habe ihn daher gebeten, auch seine Geschäftsleitung  und seine Kollegen zu befragen, was sie vom Angeln zur Unterstützung beim Drogenentzug halten. Ebenfalls wollte ich wissen, ob zukünftig weitere solcher Aktionen geplant sind:

Netzwerk Angeln: Was sagen deine Kollegen und dein Chef zum Angeln mit Klienten?

Geschäftsführung:
Ich sehe die Aktion sehr positiv. Wir als Drogenhilfe Saarbrücken möchten mit unseren Angeboten möglichst viele drogengebrauchende Menschen erreichen. Und manchmal müssen vertraute Pfade verlassen werden um eine passgenaue Hilfe anbieten zu können. Neue kreative Ansätze sind deshalb als Ergänzung zu bewährten Angeboten wichtig in unserer Arbeit.

Fachliche Leitung:
Die Möglichkeit, sich so intensiv einer/m Klientin/en zuwenden zu können, ist in unserer Arbeit leider selten. Im letzten Jahr wurden beispielsweise von 8 Sozialarbeiter:innen auf  5,25 Stellen 329 Klient:innen prozesshaft beraten. Der Aufwand für die Beratung ist dabei unterschiedlich hoch. Wenn möglich räumen wir trotzdem gelegentlich einer/einem einzelnen Betreuten mehr Zeit ein. Insbesondere Zeit außerhalb der Einrichtung und Zeit unter freiem Himmel ist dazu angetan, sich anders zu erfahren. Es gelingt dann leichter, den Blick abzuwenden von Drogen und damit verbundenen Räumen und Problemen, um sich stattdessen den Ressourcen, Chancen und Alternativen zum Drogenkonsum zu widmen. Der mit dem Angeln verbundenen Ruhe, dem Innehalten kommt in diesem Zusammenhang ein besonderer Wert zu.
Auch aus dem weiteren Kollegium kam eine durchweg positive Resonanz auf den Angelausflug.

 

Netzwerk Angeln: Plant ihr eventuell die Sache öfter anzubieten/auszuprobieren?

Geschäftsführung:

„Leider gibt die personelle Ressource derzeit nicht her, das Angebot auszuweiten. Aber unsere Einrichtung lebt von Innovation, wir entwickeln uns ständig weiter und passen die Angebote den Bedürfnissen der Klient:innen, der Kostenträger und des Umfeldes an. Vielleicht findet sich ein Weg, in Zukunft auch das Angeln häufiger anzubieten, wir bleiben dran!“ 

Fachliche Leitung:

Das Drogenhilfezentrum als Bestandteil der Drogenhilfe Saarbrücken richtet seine Hilfsangebote hauptsächlich an aktiv drogengebrauchende, vor allem schwerstabhängige Menschen. Oft ist es vom Setting her nicht möglich, das Angebot mit den Besucher:innen des DHZ umzusetzen. Das liegt daran, das abhängige Konsument:innen harter Drogen relativ schnell entzügig werden und die meiste Zeit des Tages damit beschäftigt sind, durch Geldbeschaffung und dem Konsum von Substanzen ihre Entzugserscheinungen zu bekämpfen. Hier ist es also schwierig, ein Zeitintensives Angebot wie Angeln (min. eine Stunde für Kartenkauf und fahrt zum Angelplatz und zurück plus Angelzeit) für den Großteil unserer Besucher:innen zugänglich zu machen.
Im begründeten Einzelfall kann das Angeln als Angebot zur Stabilisierung jedoch sehr zielführend sein, sodass auch zukünftige Angelausflüge mit unseren Besucher:innen realistisch sind.
Außerdem stellt die Drogenhilfe neben dem Drogenhilfezentrum in einer weiteren Einrichtung, der psychosozialen Beratungsstelle, auch präventive Angebote zur Verfügung. Auch hier ist es möglich, das Angeln anzubieten.
Da die Drogenhilfe Saarbrücken gGmbH eine öffentliche, gemeinnützige Gesellschaft ist, sind wir von öffentlichen Geldern finanziert und deshalb auch auf die Unterstützung dritter angewiesen. Das heißt, um das Angelangebot auch weiterhin anbieten zu können sind wir auf Sach- und finanzielle Spenden angewiesen.

Das Spendenkonto der Drogenhilfe Saarbrücken: Sparkasse Saarbrücken, IBAN: DE58 5905 0101 0067 1574 12


  Das Drogenhilfezentrum Saarbrücken!

Das Drogenhilfezentrum ist eine akzeptanzorientierte, niedrigschwellige Einrichtung der Drogenhilfe. Unsere Zielgruppe besteht aus Konsument:innen harter Drogen wie Heroin und Kokain, aber auch Amphetamin und Medikamenten. Die meisten Besucher:innen applizieren ihre Substanzen intravenös, etwa ein Viertel der Nutzer konsumieren nasal oder inhalativ. Wir bieten Angebote der Überlebenshilfe (kostenloses Essen und Getränke, Kleidung, sanitäre Anlagen), der Risikominimierung und Schadensbegrenzung (Ausgabe von sterilem Spritzbesteck und Kondomen, Krankenpflege, einen sterilen Konsumraum, der durch Personal besetzt ist, das im Drogennotfall geschult ist), sowie allumfassende Sozialberatung und abstinenzorientierte Angebote wie die Vermittlung in eine Rehabilitation für Abhängigkeitskranke.

Außerdem hat das DHZ ordnungspolitische Aufgaben wie die Bindung der Drogenszene an die Einrichtung und die Netzwerkarbeit mit den umliegenden Anwohnern und Gewerbetreibenden, sowie die Reduktion negativer Begleiterscheinungen für das Umfeld durch die Drogenszene.

Wir sind ein multiprofessionelles Team, bestehend aus Sozialarbeiter:innen, Gesundheitspfleger:innen, ein Geschäftsführer, zwei Verwaltungsangestellte, ein Hausmeister, Honorarmitarbeiter:innen in Aufsichtsdiensten sowie Praktikant:innen. Alle Mitarbeiter:innen sind in erster Hilfe für den Drogennotfall geschult, wodurch im Jahr 2020 alleine 63 Drogennotfälle erfolgreich bearbeitet werden konnten und noch niemand in unserer Einrichtung verstorben ist.



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