Guter Fang, gutes Leben! Was wir vom klugen Fischer lernen können
Der Angler als Glücksexperte
Jeder Mensch sollte eine nachhaltige Leidenschaft haben, die ihn bewegt, wach hält und ein Leben lang beschäftigt. Dass eine gute Passion nichts Lächerliches ist, zeigt Max Scharnigg in seinem Buch „Die Stille vor dem Biß“. Der Angler ist für ihn auch ein begeisterter Naturwissenschaftler mit Universalausbildung. Ein Mensch, wie ihn die Welt heute braucht. Vieles lässt sich von ihm lernen, auch wenn man selbst nie angelt oder angeln möchte: „Ersatzweise kann man auch neben einem alten Gärtner oder einer alten Schneiderin sitzen. Sie verströmen diese Würde des ehrlichen Handwerkers, die Anmut eines Menschen, der genau weiß, was er tut.“ Angeltage sind für ihn Projekte: Es werden Ressourcen gecheckt, die Hardware vorbereitet, das Boot ins Wasser gelassen, die Ruten montiert, Montagen und Systeme geknüpft, der Anker ausgeworfen und die Tiefen ausgelotet – „alles nach einem Plan, den man sich vorher überlegt hat.“ Dann folgt der Praxistest.
Angler sind für Scharnigg Glücksexperten, weil sie es gewohnt sind, etwas dafür zu tun und geduldig darauf warten zu können. Dieses Training wird im Leben generell gebraucht. Angler sind aber auch Zweifler, die gut mit sich allein sein können und immer wieder die Kraft und Geduld haben, es noch einmal zu versuchen. „Der empfindsame Angler ist sich seiner Unzulänglichkeit bewusst. Er weiß, dass der See, der Fluss, das Meer größer sind als er.“ Scharnigg gibt dem Thema so viel Tiefe, dass es am Ende ein Buch über das gute Leben geworden ist, in dem Nachhaltigkeit und die eigene kritische Reflexion darüber eine wichtige Rolle spielt.
Das gute Leben
In einer Hafenstadt liegt ein Fischer in seinem Boot und schläft. Ein geschäftiger Tourist steht plötzlich vor ihm an der Hafenkante und fotografiert die idyllische Szene. So beginnt Heinrich Bölls „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“, die 1963 erschien und noch immer hochaktuell ist. „Sie werden heute einen guten Fang machen“, sagt der „urlaubende“ Unternehmer, der den Fischer aufweckt und über scheinbar unbegrenzte, wirtschaftliche Wachstumsmöglichkeiten spricht, die der Fischer hätte, wenn er heute noch ein weiteres Mal ausfahren würde. Schließlich kann er damit seinen Fang verdoppeln oder sogar verdreifachen.
Der Fischer nickt, versteht allerdings nicht den Sinn dahinter. Darauf der Unternehmer: „Sie würden sich spätestens in einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten und dem Kutter würden sie natürlich viel mehr fangen.“ Der Fischer könne ein Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber fliegen, die Fischschwärme ausmachen „und ihren Kuttern per Funk Anweisungen geben“.
Den Fischer lässt das alles unbeeindruckt – und er fragt: „Was dann?“ - „Dann“, sagt der Urlauber begeistert, „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken.“ - „Aber genau das tue er doch längst, antwortet der Fischer völlig unbeeindruckt und fügt hinzu: „nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.“ Er ist die Ruhe selbst und entnimmt der Natur nur das, was er zum Leben benötigt und was auch wieder neu entsteht. Nach getaner Arbeit legt er sich zufrieden in sein kleines Boot und döst er in der Sonne.
Das erinnert auch an den antiken Philosophen Diogenes, von dem berichtet wird, dass er in einer Tonne lebte: An einem sonnigen Tag kam Alexander der Große vorbei und fragte, welchen Wunsch er ihm erfüllen könne. „Geh mir aus der Sonne!“, sagte der Philosoph, der für sein Glück keine Reichtümer, sondern nur das Licht des Augenblicks brauchte. Nichts zu tun und nur zu sein hatte für ihn nicht mit Zeitverschwendung zu tun, sondern mit Lebensgewinn. Diese Einstellung ist vielen Menschen heute fremd – sie müssen immer etwas tun. Sonst scheint ihnen die Zeit ungenutzt und vergeudet. Doch die Beispiele zeigen: Das Glück gehört allen, die sich selbst genügen (Arthur Schopenhauer). Der wahre Lebensgenuss liegt für sie nicht in der Ferne, sondern in der Nähe, nicht im Abschalten und Herunterfahren, sondern im Loslassen.
Das, was viele Menschen davon abhält, es zu erkennen, ist häufig die Jagd nach Anerkennung, mehr Umsatz, mehr Gewinn, mehr Erfolg. Dabei wachsen auch Angst, Aggressivität, Ungleichheit, Unlust an der Politik, Schulden und die Umweltbelastungen. All das hat seinen Preis. Unendliches Wachstum in einer begrenzten Welt kann es auch mit den besten Technologien nicht geben.
Mit Blick auf die kommenden Jahre hängt alles davon ab, ob uns eine Entkoppelung von Wachstum und Naturverbrauch gelingt. Nicht ob, sondern wie die Wirtschaft wächst, ist die entscheidende Frage einer Green Economy 2.0, die Gerechtigkeitsfragen, nachhaltiges Wirtschaften und inneres menschliches Wachstum miteinander verbindet. Die Sehnsucht nach mehr Gemeinsinn, nach Halt, nach Heimat, nach einem maßvollen Leben, einer Gesellschaft im Gleichgewicht, nach Natur, nach Sinn, nach Solidarität und nach Verantwortung ist mit einem Universum von Möglichkeiten verbunden.
Dr. Alexandra Hildebrandt
Quellen:
Heinrich Böll/Émilie Bravo: Der kluge Fischer. Bilderbuch. Carl Hanser Verlag. München 2014.
Alexandra Hildebrandt: Das Gute in der Nähe finden: Urlaub ist... wo wir uns im richtigen Leben aufgehoben fühlen. E-Book Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Max Scharnigg: Angeln. Die Stille vor dem Biss. Eine rätselhafte Passion. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
Anmerkungen der Redaktion:
Dr. Hildebrandt „gefunden“ beim Thema Angeln und Nachhaltigkeit
Es gehört zum Geschäft, dass man als Angeljournalist eine Medienbeobachtung auch ausserhalb der eigenen Blase macht. Um so Themen, Entwicklungen und Diskussionen zum Thema Angeln und Angler auch ausserhalb der eigenen Zielgruppe mit zu bekommen.
So bin ich auch auf Dr. Alexandra Hildebrandt gestossen, die als Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin genauso für Weltkonzerne, wie aber auch für den DFB gearbeitet hatte.
Dr. Hildebrandt fand ich mit Veröffentlichungen zum Angeln, in denen sie das Angeln durchaus positiv heraus gestellt hat.
Nachhaltigkeit beim Angeln ausserhalb „Naturschutz“?
Wenn wir Angler „Nachhaltigkeit“ hören, ist der erste Gedanke im Normalfall Naturschützer und der zweite Einschränkungen und Angelverbote.
In Beiträgen einer Nachhaltigkeitsforscherin dann beim Thema Angeln die Nachhaltigkeit nicht in erster Linie am Naturschutz, sondern am Menschen, bei nachhaltiger Persönlichkeitsbindung festgemacht zu sehen, das hat mich sofort begeistert.
So habe ich weitere Artikel und Interviews von Dr. Hildebrandt gelesen, und dann Kontakt per Mail aufgenommen.
Viele Gemeinsamkeiten bei Angeln und Nachhaltigkeit
Es hat sich schnell herausgestellt, wie viele Gemeinsamkeiten ihre Ansicht und Forschung zur Nachhaltigkeit (am Menschen und am machen orientiert) mit Anglern und Angeln gemeinsam haben.
Das „geerdet“ werden, das runterkommen, das Existentielle wieder mitbekommen, all das verstärkt oder ermöglicht eine nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung.
Auch gerade für Kinder, heute oft gefangen zwischen Bildschirm, Schule und Helikoptereltern, bietet das Angeln eine „Flucht ins reale Leben“, das kennen lernen und schätzen eigener Entscheidungen und das tragen der Folgen daraus.
Ein Interviewer wird interviewt
Aus diesem Gespräch heraus entstand bei Dr. Hildebrandt die Idee, mit mir ein Interview zum Thema Angeln zu machen, um Fakten, Möglichkeiten und Probleme des Angelns in Deutschland auch ihren Lesern nahebringen zu können. Mit verschiedenen Themen rund um Angeln und Nachhaltigkeit soll das erweitert werden.
Da normalerweise ich derjenige bin, der fragt und nachhakt, war das per Mail und Telefon geführte Interview für mich auch neu und spannend.
Nachlesen könnte ihr das hier:
https://dralexandrahildebrandt.blogspot.com/2018/08/angeln-in-deutschland-fakten-statt-fake.html
Ebenfalls ist das Interview im E-Book von Dr. Hildebrandt zu finden:
Urlaub: Das Gute in der Nähe finden
von Amazon Media EU S.à r.l.
Lernen von Anglern
Wie eine selber (noch?) nicht angelnde Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin wie Dr. Hildebrandt zum Thema Angeln kam, hat sie mir nicht nur erläutert, sondern uns dazu hier für Netzwerk Angeln einen Artikel geschrieben.
Dieser nähert sich dem Angeln und Fischen nicht aus der praktischen Perspektive, sondern aus der geisteswissenschaftlichen – wie ich finde, absolut lesenswert.
Vita Dr. Alexandra Hildebrandt
Dr. Alexandra Hildebrandt ist Publizistin, Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin.
Sie studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Buchwissenschaft.
Anschließend war sie viele Jahre in oberen Führungspositionen der Wirtschaft tätig. Bis 2009 arbeitete sie als Leiterin Gesellschaftspolitik und Kommunikation bei der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) war sie 2010 bis 2013 Mitglied der DFB-Kommission Nachhaltigkeit.
Den Deutschen Industrie- und Handelskammertag unterstützte sie bei der Konzeption und Durchführung des Zertifikatslehrgangs „CSR-Manager (IHK)“.
Alexandra Hildebrandt ist Mitinitiatorin der Initiative Gesichter der Nachhaltigkeit. Im Verlag Springer Gabler gab sie in der Management-Reihe Corporate Social Responsibility die Bände „CSR und Sportmanagement“ (2014), „CSR und Energiewirtschaft“ (2015) und „CSR und Digitalisierung“ (2017) heraus.
Aktuelles Buch: "Visionäre von heute - Gestalter von morgen" (SpringerGabler 2018).
Mehr zu Dr. Alexandra Hildebrandt:
Dr. Alexandra Hildebrandt bei Wikipedia
Thomas Finkbeiner
Kommentare
Wobei ich nur leider den Eindruck habe, das solche im Grunde positiven Botschaften, gerade in D beim isoliert betrachteten Triggerwort "Nachhaltigkeit" für eine Verbotskultur missbraucht wurden und auch weiterhin missbraucht werden (siehe Dorschmanagement, Abknüppelgebote u.ä.)
Nachhaltiges Handeln wird hier quasi bestraft oder gleich untersagt.
Dr. Hildebrandt's richtige Ansicht, das im Ganzen betrachtet ein Universum an Möglichkeiten besteht, wird damit quasi pervertiert und für Zwecke missbraucht, deren Gründe bekannt sind..
Damit andere den Hals noch voller bekommen können, wird die praktizierte Nachhaltigkeit der Verantwortungsvollen Akteure dann halt weiter
eingeengt..ist doch schließlich für eine gute Sache.